Grundlage unseres pädagogischen Handelns

ist die Entwicklung 2-6 jähriger Kinder. Wie zeigt sich Entwicklung – wie lernt ein Kind?

Durch das Spiel, durch Bewegungs- und Sinneserfahrungen lernt das Kind, es entwickelt sich. Dieses Spielen ist altersangemessenes Lernen und wird meistens unterschätzt: „Sie spielen ja nur.“

Über vielfältige körperliche Aktivitäten und sinnliche Wahrnehmung - sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, berührt werden, eigene Bewegung und Kraft spüren-  lernt das Kind seine Welt und sich selbst kennen, es entwickelt ein Körpergefühl und im Laufe seiner Entwicklung erlangt es Kontrolle über seinen Körper. Sämtliche Sinneseindrücke werden im Gehirn ausgewertet, verglichen, eingeordnet, gespeichert, so dass sinnvolle Reaktionen geschehen können. Das Kind sieht z.B. seine Mutter nicht (= Sinneseindruck), es ruft (= Reaktion). Unzählige Sinneseindrücke und Reaktionsmuster werden im Gehirn verarbeitet. Wir sprechen von einer guten sensorischen Integration, wenn dieser Prozess ungestört verläuft.

Zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr findet besonders die Aneignung vielfältiger Bewegungsfertigkeiten statt. Die Bewegung ist erst noch unsicher z.B. beim Treppensteigen, und wirkt noch tapsig.

Zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr kommt es zu einer beträchtlichen Vervollkommnung der Bewegung, sowie zur Aneignung von Bewegungskombinationen. Es findet eine rasche quantitative und qualitative Leistungssteigerung statt. Ausdauer, Geschicklichkeit und Muskelkraft nehmen zu.

Das ältere Vorschulkind (5-6 Jahre) hat eine gute Körperkontrolle, es hat seinen Körper „im Griff“ (= gute Gesamtkörperkoordination). Ein sechsjähriges Kind fängt mühelos einen Ball oder kann vorwärts und rückwärts balancieren – ein dreijähriges Kind schafft das noch nicht.

Aus dem Gehen, Laufen, Hüpfen des Dreijährigen entwickeln sich Rennen (mit reaktionsschnellen Richtungswechseln), Springen, Hinkeln, geschicktes Klettern – dabei reizt jedes Mäuerchen, jede Treppe, jeder Zaun zum Beklettern, zum Springen.

Sie balancieren, rollen, schaukeln, rutschen, wippen, springen Seil, spielen Ball, Hantieren mit Wasser, Sand, Farben. Sie benutzen Werkzeuge (Hammer, Schaufel, Eimer, Seile, etc.). Sie tragen, schieben, ziehen sich die Dinge zu Recht. Sie benutzen Fahrzeuge, Dreirad, Roller, Fahrrad, Rollschuhe und alles, was Bewegung bringt. Sie lieben Tätigkeiten der Erwachsenenwelt und übernehmen gerne Aufgaben. Sie schaffen und bauen sich ihren eigenen Raum (Höhlen, Verstecke) und dies am Liebsten außerhalb der Kontrolle von Erwachsenen. In Rollenspielen (Vater-Mutter-Kind, Arztbesuch, Schule, Fernsehsendungen) experimentiert das Kind mit anderen Verhaltens- und Erlebensweisen und macht für sich neue Erfahrungen bzw. verarbeitet darüber Erlebnisse.

Dreijährige Kinder spielen meist noch für sich, auch wenn sie das gleiche Spielzeug benutzen, wie das Kind neben ihnen. Das tatsächlich gemeinsame Spiel entwickelt sich mit zunehmendem Alter und Fähigkeiten. Dann werden auch Regel- und Wettspiele sehr beliebt, anhand derer die eigenen Fähigkeiten erlebt und bewusst werden.

Jedes Kind spielt, wobei Phasen von Langeweile oder nichts tun, zugucken oder träumen genauso wichtig sind. Bei jedem Spiel lernt das Kind! Egal, ob es einen Baum hinaufgeklettert ist, Memory gespielt hat, ein Lied gesungen hat, eine Deckenhöhle gebaut hat, einen Karton zerrissen hat...... Allein um einen Baum hinaufzuklettern, muss es darüber nachdenken, wie es das schaffen könnte, es muss evtl. Freunde zu Hilfe holen, Hilfsmaterial organisieren, braucht eine gute Körperkoordination, braucht Willenskraft und Mut, erlebt vielleicht Misserfolg, ist stolz, es geschafft zu haben, erlebt die Welt aus einer anderen Perspektive. Mit anderen Worten, das Kind hat gelernt: selbständig zu handeln und zu denken, es hat an seinem sozialen Verhalten gearbeitet und an seiner Kommunikationsfähigkeit, es hat seinen emotionalen Bereich angesprochen, seine Körperkoordination verbessert, hat Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein weiterentwickelt, Naturerfahrung gesammelt, eine Raumerfahrung gemacht.          

Erfahrungen, die mit Freude und Begeisterung gemacht werden, verfestigen sich, werden im Gehirn gespeichert und sind so wiederum als Grundlage weiteren Lernens abrufbar. Durch den ausgeprägten Drang des Kindes zu Bewegung und Erforschung der Welt, weckt alles ihre Neugier und Entdeckerfreude. Vieles, was für uns Erwachsenen als selbstverständlich oder unbedeutend gilt, ist für ein Kind völlig neu und muss mit allen Sinnen gründlich erforscht werden, z.B. eine Wasserpfütze. Erst wenn ein Kind mehrfach nasse Füße beim Pfützen spielen erfahren hat, weiß es, was es heißt, beim Pfützen spielen nasse Füße zu bekommen. Unermüdlich probiert es Neues aus, wiederholt seine Erfahrungen unzählige Male, festigt so sein Wissen und erweitert es bis zur vollkommenen Beherrschung.

Die Wichtigkeit eigene Erfahrungen zu machen umschreibt Piaget, ein Psychologe, dessen grundlegendes Werk sich mit der Entwicklung des Kindlichen Denkens beschäftigt: „Wenn Sie das Kind etwas lehren, so hindern Sie es daran, es selbst zu entdecken- Sie stiften Schaden. Kinder brauchen die Gelegenheit etwas zu erforschen, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen. Sie brauchen die Freiheit, dabei auch Fehler machen zu dürfen, sie zu korrigieren und aus diesen zu lernen. Im Handeln lernen sie Ursachen- und Wirkungszusammenhänge kennen und begreifen.“

Wenn wir den Erfahrungen der Kinder vorweggreifen oder den Kindern nicht die Möglichkeit geben, eigene Erfahrungen machen zu dürfen, ihnen nicht die Freiheit geben, ihr Spiel selbst zu planen und zu organisieren, so nehmen wir ihnen damit das eigene Denken und das Erfahren ihres Selbst (= Selbstvertrauen).

Vor allem brauchen Kinder Erwachsene, die sie begleiten, die ZEIT für sie haben. Erwachsene als Vorbild, als Helfer, als Impulsgeber, die ihnen anregende Räume, sowohl innen, als auch außen, und Material zu Verfügung stellen. Erwachsene, die mit ihrer eigenen Spielfreude motivieren und anregen, die Freiheit geben und Grenzen setzen.

In der Schule muss das Kind auf all diese Erfahrungen zurückgreifen können, denn Lesen, Schreiben und Rechnen sind sehr komplexe Geschehen, die auf diese vorangegangenen Entwicklungsbausteine aufbauen.

 

  1. Ayres, Psychologin und Beschäftigungstherapeutin, die sich mit Störungen der Wahrnehmung, des Lernvermögens und entwicklungsgestörten Verhaltens von Kindern beschäftigte, sagt dazu: „Sieben oder acht Jahre des „Sichbewegens“ und Spielens sind notwendig, um einem Kind die sensomotorische Fähigkeit zu vermitteln, die als Grundlage für seine intellektuelle, soziale und persönliche Entwicklung dienen kann.
2019-11-B5 (236)